Wolfgang Mitterer

Ein monumentales Orchesterwerk voll anziehender Gegensätze
Zur Uraufführung von Wolfgang Mitterers Crush 1-5
im Konzert der Musica viva München

Von Hildegard Herrmann-Schneider

Wolfgang Mitterer

Wolfgang Mitterer

Wolfgang Mitterer

In der Münchner Konzertreihe der Musica viva des Bayerischen Rundfunks kamen am 25. Januar 2013 zwei repräsentative Auftragswerke dieser Institution zur Uraufführung: Crush 1-5 für Orchester, Orgel und Electronics von Wolfgang Mitterer (*1958 Lienz/Osttirol), komponiert 2012 sowie Lamento, Protokoll für Violoncello und großes Orchester von Mathias Spahlinger (*1944 Frankfurt am Main), entstanden 2011.

Das Konzert wurde im Bayerischen Rundfunk auf BR-Klassik live übertragen.

Während Spahlingers Lamento, Protokoll durch den variantenreich gestalteten Dialog und Diskurs von Solocello (Lucas Fels) und Orchester an die traditionelle Gattung Solokonzert erinnert, freilich unter experimenteller Klanggebarung der herkömmlichen Instrumente und mit teilweise sehr ausladend dimensionierten Klangflächen, stellt Wolfgang Mitterers Crush 1-5 ein faszinierend komplexes Werk dar, bei dem alle Klang- und Formkomponenten, alte und neue, sich wie selbstverständlich in eine wohlproportionierte Einheit fügen.

In Crush 1-5 folgen fünf Werkabschnitte unmittelbar aufeinander: Ein Attacca in der Mitte wird von je zwei emotionale Heftigkeit oder Weichheit intendierenden Teilen symmetrisch umrahmt (Agitato-Sospirando bzw. Con calore-Rapido). Ständige (An-) Spannung und Entspannung, hohe Virtuosität, Hektik ebenso wie Ruhe, gezielt gesetzte Kontraste prägen das gesamte Werk. Diese erklingen trotz aller Schwierigkeiten in der Ausführung so natürlich und selbstredend, dass die Zeit während der stattlichen Aufführungsdauer von einer dreiviertel Stunde jedenfalls in Vergessenheit gerät. Selbst wenn man die Bedeutung des englischen "(to) crush", nämlich "zerschmettern, vernichten" bzw. "Gedränge" nicht wüsste, dazu auch nicht, dass das Wort "crush" in verschiedenen Redewendungen auch positive Komponenten in sich birgt, unter anderem "to have a crush on someone" "in jemand verknallt sein", so würde man Mitterers Musik ohne Weiteres als klaren Ausdruck wechselnder Extreme verstehen. Darin liegt die Größe dieser beeindruckenden Schöpfung, nicht nur etwa in ihrer riesigen instrumentalen Besetzung, so mit je vierfachen Holzbläsern oder vier- bis sechsfachen Blechbläsern. Bemerkenswert homogen fügen sich die frappant majestätische Orgel, bei der Uraufführung teils improvisierend gespielt vom Komponisten und vor allem auch die Electronics in den gesamten Klangapparat. Trotz aller intendierten Widerspiele in Crush 1-5 stehen die Electronics letztlich in Ergänzung zum Symphonieorchester, als plausible Erweiterung eines Klangspektrums, nicht als gesuchter neumodischer Gegenpol oder Herausforderung des Konventionellen.

Wolfgang Mitterer hat die elektronischen Samples aus seinem Basler Bühnenwerk Crushrooms (2005) für Crush 1-5 umgearbeitet und in einen neuen Kontext gestellt. Er kommentiert dies folgendermaßen: "Ich zermalme" gleichsam meine bisherigen Kompositionstechniken und gelange dadurch zu einer neuen Schreibweise" (vgl. Sibylle Kayser, "Zermalmte Musik. Neue Gesichter des Solokonzerts", im Internet unter www.br.de, Stand 27. 1. 2013).

Unter akkurat souveräner Leitung von Peter Rundel präsentierte sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit großer Leidenschaftlichkeit, meisterlicher Intensität und Überzeugungskraft. Viel Applaus und Bravo-Rufe aus dem Publikum, zu Recht.